Nestlé verkauft überzuckerte Kleinkindernahrung in der Dritten Welt. Ein Rohstoffhändler handelt mit sanktioniertem Öl aus einer Bürgerkriegsregion. Eine Goldraffinerie verwendet schmutziges Gold, das aus Bürgerkriegsgebieten stammt und mit Kinderarbeit gewonnen wurde.
Das ist der Stoff, aus dem grosse Medienauftritte gemacht sind. Eine grosse, mächtige Firma, gerne international tätig. Ein emotional besetztes Produkt wie Nahrungsmittel, Blutdiamanten, Edelmetalle, Rohstoffe, die unter üblen Umständen und ohne Rücksichten auf Sanktionen gekauft, gehandelt, verwendet werden.
Ein ideales Sprungbrett, um in den Olymp der öffentlichen Aufmerksamkeit zu gelangen. «Public Eye», «Swissaid» und nicht nur sie tun das gerne und regelmässig.
Dazu braucht es dann nur einen «Report». Eine «Enthüllung». Eine «Untersuchung». Möglichst international, möglichst unter Beteiligung von vielen NGO. Und schon ist die Anklageschrift gebacken. Dann beginnt die Erregungsbewirtschaftung.
Zuvor fehlt nur noch eins: sie juristisch überprüfen zu lassen. Notfalls Formulierungen abschwächen, beliebte Worthülsen sind «legt den Verdacht nahe, wird von aus Selbstschutz anonym bleibenden Quellen bestätigt, ist auch schon in anderen Fällen nachgewiesen worden, deutet darauf hin, ist ein klares Indiz für, ist illegitim», usw.
Längst sind die Zeiten vorbei, als der Kracher «Nestlé töten Babys» eine harsche Reaktion des Konzerns auslöste und die Autoren dieser Behauptung in die Knie gingen.
Heute fängt das Spiel nach der Veröffentlichung erst richtig an. Die kritisierte Firma wird meistens auf dem falschen Fuss erwischt, weil sie – trotz Grösse – mit Krisenkommunikation nicht viel Erfahrung hat. Also gibt sie viel zu spät ein viel zu verklausuliertes Dementi heraus, das nur bruchstückhaft zitiert wird – und überhaupt als Versuch gewertet, die klare Klage gegen ihr Geschäftsgebaren zu verwedeln.
Dann versucht die Firma vielleicht, mit der NGO ins Gespräch zu kommen, zu erklären, welche Anschuldigungen kreuzfalsch sind, welche Andeutungen unstatthaft, welche Behauptungen rufschädigend. Muss die NGO nicht erkennen, bei irgend einer Aussage definitiv etwas Tatsachenwidriges behauptet zu haben, dann stellt sie sich auf die Hinterbeine und sagt: wir nehmen nichts zurück. Oder sie sagt, dass sie an keinem Gespräch interessiert sei.
Dann folgt der nächste Akt im immer gleichen Spiel. Nachdem alle Versuche, die Anwürfe gütlich zu bereinigen, gescheitert sind, beschreitet die Firma den Rechtsweg, sie klagt. Vor Zivil- und Strafgerichten.
Daraus ergibt sich der nächste Knaller für die NGO. Grosse und mächtige Profitmaschine will über kleine, schmächtige NGO herfallen, sie mit überlegener finanzieller Feuerkraft fertigmachen, gar Schadenersatzforderungen stellen, die zum Bankrott führen würden. Und all das nur deswegen, weil es die NGO gewagt hat, unangenehme Tatsachen ans Licht zu befördern.
Eine zweite Medienwelle brandet über NGO und kritisierte Firma hinweg. Dann dauert der Instanzenzug normalerweise Jahre. Auf jeden Fall solange, dass es niemanden in der Öffentlichkeit mehr interessiert, wie am Schluss vor Bundesgericht das rechtsgültige Urteil lautet.
Das ist ein klassisches Scheisspiel, bei dem die NGO eigentlich nur gewinnen und die Firma nur verlieren kann. Es ist zwar verantwortungslos und verursacht oft Schäden in Multimillionenhöhe, abgesehen davon, dass solche Deklamationen meistens überhaupt nichts verändern. Aber für die NGO ist es eine geniale Gratiswerbung, während sich der Aufwand für die Herstellung einer solchen Anklageschrift und ihrer rechtlichen Überprüfung in gesunden Grenzen hält.
Aber da attention, Aufmerksamkeit, in unserer reiz- und newsüberfluteten Welt ein sehr kostbares Gut geworden ist, profitiert die NGO so tausendmal mehr als von ihrer eigentlichen Tätigkeit. Denn die ist meist unspektakuläre – und nutzlos.
Hingegen ist es für die angegriffene Firma meistens so wie bei einem Catch-22: was auch immer sie macht, sie verliert.